2009-04-08
Im Prinzip Ja,
aber erst nach Dienstschluss und nach Verlassen der Klinik.
Da ist es gut, dass die Zeiten lange vorbei sind, als man Assistenzärzten einer Uniklinik an Hand der Zahl ihrer Kinder nachweisen konnte, wie oft sie es gewagt hatten, einmal (natürlich meist heimlich in tiefer Nacht) die Klinik zu verlassen. Da nützte es ihnen auch nichts, bis spät in den grauenden nächsten Tag das Licht im Arbeitszimmer oder Labor brennen zu lassen …
2009 mussten wir nun im Deutschen Ärzteblatt Jg. 106, Heft 7 S. A-271 in dieser 'Randnotiz' des Chefredakteurs beklommen verfolgen, wie ein Stationsarzt sich das Recht genommen hat, nach Dienstschluss, aber vor Verlassen der Klinik, einen Besucher auf seine Sprechstunde zu verweisen, und das hatte sich nicht etwa 'auf einem kalten, abweisenden Klinikflur zugetragen. Nein, die Station ist in warmen, freundlichen Farben gestaltet.'
Statt nun etwa betroffen in sich zu gehen, haben zwei Ärztinnen und ein Arzt bei dem Versuch einer Rehabilitation der Klinikärzte, der größten Gruppe der Leserschaft, in Leserbriefen diesem Vorfall noch eine Krone aufgesetzt:
Da wird in diesem Leserbrief (alle hier zitierten: Heft 14 S. A-657) doch glatt einem Klinikarzt die Berechtigung zugeschrieben, 45 min. nach Dienstschluss seine Kinder aus dem Kindergarten abzuholen, nachdem ihn zur Vermeidung von registrierter Mehrarbeit die elektronische Zeiterfassung ohnehin schon um 16:20h automatisch ausgeloggt habe und er zuvor noch durch eine unplanmäßige Magenblutung aufgehalten worden sei. Vielleicht sieht sich die Kollegin in dieser Auffassung auch noch vom Marburger Bund bestätigt, der wegen der abstoßenden kinder- und familienfeindlichen Arbeitsbedingungen in den meisten deutschen Krankenhäusern die Kampagne 'Für ein familienfreundliches Krankenhaus' angestoßen hat. Klinikärzte, ohnehin alles besser verdienende Porschefahrer, sollten auch in der Lage sein (das müssen wir hier zur Beschreibung der Kinderfreundlichkeit noch ergänzen), die Strafgebühr zu bezahlen, die manche Gemeinden bei verspätetem Abholen der Kinder erheben und die z. B. das Verwaltungsgericht Gießen nach diesem Bericht für rechtmäßig erklärt hat.
Ein weiterer Leserbriefschreiber lässt sich nicht davon irritieren, dass der Chefredakteur die Szene 'nicht einem abschreckenden Rollenspiel für Klinikmitarbeiter, sondern der Realität des Jahres 2009' zugeordnet hatte, und solidarisiert sich sogar mit dem angegriffenen Klinikarzt, dem er das Recht zugesteht, außerhalb seiner regulären Arbeitszeit mit seinem eigenen erkrankten Kind die Abendsprechstunde eines Kinder- und Jugendarztes zu besuchen.
In einem dritten Leserbrief versteigt sich eine Kollegin gar dazu, unsere Titelfrage als Behauptung zu formulieren! Sie habe zwar oft genug abends um 20h noch mit Angehörigen gesprochen, aber auch ein Arzt könne möglicherweise in seiner Freizeit das Krankenhaus deshalb verlassen wollen, weil er selbst einen Arzttermin habe. Viele Angehörige hätten aufgrund ihrer eigenen Arbeitszeiten keine Möglichkeit, zu den Sprechstunden zu kommen, erwarteten dann aber von dem behandelnden Stationsarzt, dass er auch drei Stunden nach Ende der Arbeitszeit für ein Gespräch zur Verfügung stehe, obwohl man bereits am Vortag lange telefonisch gesprochen habe. Da wird verständlich, wollen wir ergänzen, warum eine der Voraussetzungen für das Attribut 'Hessenklinik' als sozialpolitischer Fortschritt gerühmt worden ist: Der Ersatz restriktiver Besuchszeiten durch die Regelung 'Besuch innerhalb 24 Stunden an sieben Wochentagen erlaubt'.
Frage an Radio Eriwan: Darf ein Klinikarzt denn die Klinik nach Dienstschluss verlassen?
Im Prinzip Ja,
aber nicht während der Besuchszeit.
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