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Prof. Dr. Verena Kuni  M. A.

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Un-Ordnung schaffen. Das "Labor" als Ort der Transgression

Vortrag im Rahmen der Tagung "Screening Science", Kunstuniversität Linz u. Crossing Europe Filmfestival, 28.04.-29.04.2005

Wenn Wissenschaften nach traditionellem Verständnis "Wissen schaffen" sollen, so impliziert dies die Vorstellung von "Ordnungen des Wissens", die ihrerseits die "Ordnung der Welt" repräsentieren.(1) Anders gesagt: "Wissen schaffen" findet sich auf verschiedenen Ebenen mit "Ordnung schaffen" gleichgesetzt. Experimentell erprobt und zugleich exemplarisch realisiert wird dieser Vorgang vorzugsweise im Labor. Das Labor soll dabei nicht nur die Rahmenbedingungen für die wissenschaftliche Betrachtung und Untersuchung von Phänomenen bieten, die freilich – wie bereits Auguste Comte bemerkt hat – zunächst "durch künstliche, eigens zum Zwecke ihrer Erforschung eingerichtete Umstände mehr oder weniger modifiziert" (2), also im Labor und durch das Labor selbst erzeugt werden müssen.(3) Vielmehr kommt dem Labor als Austragungsort, Bühne und Bild eine herausragende Stellung in der Konstitution, Repräsentation und Vermittlung, der Produktion und Reproduktion von "Wissenschaft" zu.(4) Diese Funktionen fallen weniger unmittelbar zusammen, als sie verschiedene– historisch, gesellschaftlich und disziplinär durchaus unterschiedlich konfigurierte– Schnittstellen aufweisen.

Beredte Auskunft hierüber geben Darstellungen von Laboratorien, die ihrerseits in unterschiedlichen Kontexten höchst unterschiedlich ausfallen –und dabei von den Orten der wissenschaftlichen Praxis, die sie repräsentieren sollen, erheblich differieren können.(5) Besonders evident scheint dies mit Blick auf jene "Laboratorien", die im Rahmen von Spielfilmen begegnen. Zwar sind sie unschwer als "Laboratorien" zu identifizieren, also als Repräsentationen, die bestimmte Merkmale und Funktionen von Laborformen adaptieren. Zugleich zeichnen sie sich jedoch durch spezifische Abweichungen aus, die es nahe legen, in Anlehnung an Karin Knorr-Cetina (6) zu fragen: Was ist ein "Labor"?
Zweifelsohne ist auch das "Labor" im Spielfilm "nicht nur der physische Ort, an dem Experimente durchgeführt werden", sondern erweist sich auf seine Weise ebenfalls "mit der Idee einer Rekonfiguration natürlicher und sozialer Ordnungen und ihrer Relation zueinander verbunden." (7) Umso mehr muss es lohnen, die Erscheinungsformen des "Labors" im Spannungsfeld von Adaption und Abweichung einer genaueren Betrachtung zu unterziehen.

Folgt man Knorr-Cetinas These, dass "Laboratorien eine 'gesteigerte' Umwelt darstellen" (8), so lässt angesichts der Inszenierungen von Laborpraxis im Spielfilm von einer signifikante Übersteigerung sprechen, die zunächst einmal durch die Akteure und Aktanten gespiegelt wird: Den "Wissenschaftler", der als verkanntes, aber aberrantes Genie, als "bad" oder "mad scientist" (9) die Grenzen seiner Disziplin überschreitet, und "seine Kreaturen", deren Monstrosität die Überschreitung markiert.(10) Als mindestens ebenso markant konfiguriert – jedoch von der filmwissenschaftlichen Forschung bislang weit weniger beachtet – erweist sich in der Tat aber auch die Bühne, auf der sich der Akt der Transgression vollzieht beziehungsweise auf der er nicht nur zur Schau gestellt, sondern vordem auch in Gang gesetzt wird. Anders gesagt: Wie das Labor ist auch das "Labor" nicht nur Ort, sondern auch Teil des Experiments – das in diesem Fall allerdings nicht Ordnung, sondern Un-Ordnung schafft.

Fragt man nun nach Indizien, welche im Rahmen seines Erscheinungsbildes auf diese spezifische Funktion des "Labors" verweisen könnten, so fällt allem voran auf, dass hier häufig mehrere Zeitebenen ineinander geblendet erscheinen: Anlehnungen an altertümliche Alchemistenküchen mischen sich mit an die jeweils gängige Laborpraxis angelehnten Szenarien und dem 'futuristischen' Design von Science-Fiction-Phantasien. Für diese und weitere Konfigurationen im Spannungsfeld von Adaptation und Abweichung wird sich der Vortrag interessieren, um an ausgewählten historischen und zeitgenössischen Beispielen aus verschiedenen Film-Genres danach zu fragen, ob und inwieweit sich signifikante Konstellationen klassifizieren lassen– und welche Schlüsse hieraus für die jeweiligen Funktionen des "Labors" zu ziehen sind. Wenn in diesem Zuge einerseits genre- und zeittypische Markierungen herausgearbeitet werden können, soll andererseits auch Konfigurationen nachgespürt werden, aus denen gegebenenfalls eine übergreifende Semiotik des "Labors" als eines Orts der Transgression abzuleiten wäre.

Für weiterführenden Überlegungen werden dabei nicht nur Thesen und Ergebnisse der wissenschaftsgeschichtlichen Forschung heranzuziehen, sondern auch ergiebige Seitenblicke auf andere kulturwissenschaftliche Disziplinen und ihre Untersuchungsgegenstände– namentlich auf die Konjunkturen des "Labors" in der Kunstgeschichte und in der zeitgenössischen Kunst zu werfen sein.

(1) Vgl. grundlegend Michel Foucault: Die Ordnung der Dinge, Frankfurt a. M. 12:1993 (OA: Les mots et les choses, Paris 1966).
(2) Vgl. Auguste Comte: Cours de philosophie positive, Bd. II, Paris 1908; hier zit. n. Carol Armstrong: Der Mond als Philosophie. In: Diskurse der Fotografie, Hrsg. Herta Wolf, Frankfurt a. M. 2003, S. 259-383, S. 362.
(3) Vgl. u. a. Bruno Latour u. Steve Woolgar: Laboratory Life. The Construction of Scientific Facts, Princeton (1: 1979) 2:1989; desw. sehr anschaulich die Fallstudien v. Harry Collins/Trevor Pinch: Der Golem der Forschung. Wie unsere Wissenschaft die Natur erfindet, Berlin 1999.
(4) Zum Kontext vgl. die Publikationen von J. Rheinberger/M.Hagner/B.Wahrig-Schmidt, H.Schramm, L.Daston, C.A.Jones/P.Galison, B.M.Stafford, H.Holländer, M.Kemp, u.a.m.
(5) Vgl. etwa kompakt zur Darstellungsgeschichte bis zum 19. Jh. Sabine Krifka: Das Labor – Ort des Experiments. In: Erkenntnis, Erfindung, Konstruktion. Studien zur Bildgeschichte von Naturwissenschaften und Technik vom 16. bis zum 19. Jahrhundert, Hrsg. Hans Holländer, Berlin 2000, S. 755-771.
(6) Vgl. Karin Knorr-Cetina: Wissenskulturen. Ein Vergleich naturwissenschaftlicher Wissensformen, Frankfurt a.M. 2002; hier Kap. 2: Was ist ein Labor, S. 45ff.
(7) Ebd., S. 45.
(8) Ebd.
(9) Vgl. z. B. David J. Skal: Screams of Reason. Mad Science and Modern Culture, New York 1998.
(10) Wenngleich es die Rede vom "Wissenschaftler" und seiner "Kreatur" zunächst nicht nahe zu legen scheint, schließt dies – wie sich an einschlägigen Beispielen belegen lässt – auch das spezifische Setting des Selbstexperiments mit ein.

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