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WUNDERKAMMER WERKSTATT

Seminar & Kolloquium
WS 2021/2022

[Hinweis: Diese Veranstaltung ist Teil des Schwerpunkts zum Thema, der aus den Formaten Vorlesung-Seminar und Seminar-Kolloquium besteht. Während V|S WUNDERKAMMER(N) einzeln belegt werden kann, dient die Arbeit in der S|KO WUNDERKAMMER WERKSTATT einer weiterführenden, vertiefenden inhaltlichen und methodischen Auseinandersetzung mit ausgewählten Themen und Komplexen.]

Wunderkammern haben bis heute nichts an ihrer Faszinationskraft verloren. Das gilt nicht nur für historische Wunderkammern und ihre Objekte – beziehungsweise das, was sich von ihnen erhalten hat. Neben Rekonstruktionen finden sich auch Neueinrichtungen sowie an die Tradition der Wunderkammern anknüpfende Arrangements in Museen und Ausstellungen – und auch zahlreiche zeitgenössische Künstler*innen beziehen sich in Werken und Projekten auf Wunderkammern, wobei konzeptuelle ebenso wie ästhetische Dimensionen, historische ebenso wie gegenwärtige Perspektiven sowie die der Wunderkammer über diese eingetragenen Potenziale und Probleme eine Rolle spielen.

Aber was genau macht diese Anziehung aus? Sind es die Sehnsucht nach dem Wunderbaren, Neugierde, Schaulust, das Staunen über Affektlogiken des Sammeltriebs, die im Betrachten von Objekten und Sammlungen miterlebt werden können, deren Anordnungen mit denen gegenwärtigen Ordnungen des Wissens kommunizieren – aber zugleich auch von ihnen abweichen, also Korrespondenzen ebenso wie Widersprüche aufrufen?
Nahe liegt ein Blick zurück nach vorn nicht zuletzt insofern, als die historische Wunderkammer als Mutter des Museums gilt: Die in der Spätrenaissance und im Barock von reichen Fürsten und wohlhabenden Bürgern zusammengetragen Sammlungen dienten nicht allein der Repräsentation, sondern versprachen gleichsam enzyklopädisches Wissen über die Welt zu bergen, das sich im Studium der Objekte erwerben lässt. Ein Bildungsauftrag, der bis heute zu den Fundamenten des Museums zählt.

Deutlich treten in dieser historischen Erbschaft allerdings auch Probleme zutage, über die zwar schon lange intensiv debattiert wird, die jedoch längst nicht gelöst sind: So umfassen zahlreiche Sammlungen Objekte, deren Provenienz unmittelbar oder mittelbar auf koloniale Raubzüge und andere Aneignungsprozesse zurückgeht, deren Legitimation aus heutiger Sicht geprüft und oftmals auch negiert werden muss. Damit verbunden – und darüber hinaus auch generell – stellen sich zudem Fragen mit Blick auf die tradierten Formate der Zurschaustellung sowie das gesamte Spannungsfeld von Dekontextualisierung und Rekontextualisierung, in dem nicht nur museale Präsentationen von Sammlungen und von einzelnen Objekten stehen. Andererseits fragten bereits in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts Künstler*innen – wie namentlich jene, die im Umfeld des Surrealismus arbeiteten – danach, ob sich nicht gerade das Wunderbare nachhaltig den hegemonialen Ordnungen des Wissens verweigert und in diesem Zuge auch die aus moderner Sicht unzeitgemäße (Un)Ordnung der Wunderkammern alternative, womöglich sogar subversive Potenziale bereithält, die es zu entbergen gilt.
Diese Fragen scheinen heute aktueller denn je: Schließlich wollen manche sogar im World Wide Web – in dem es neben Dokumentationen und Materialien zu historischen Wunderkammern zweifelsohne auch Sammlungen gibt, die einschlägige Assoziationen wecken und/oder sogar direkt aufrufen – per se eine Wunderkammer sehen, in der wir staunend die Welt erkunden, in der wir Neues kennenlernen und Wissen erwerben können, aber auch so mancher Täuschung unterliegen.

Wie also können wir heute zu einer differenzierten Perspektive auf Wunderkammern gelangen, die das Konzept als solches in der realen Gegenwart zukunftsfähig macht? Wie können wir ebenso kritisch wie kreativ mit dem problematischen Erbe der Wunderkammern umgehen? Lassen sich die Neugierde, das Staunen über Neues und Unbekanntes, das Suchen und Finden, Sammeln und Ordnen als für den Erwerb von Welt-Wissen wichtige Impulse und Handlungen, aber auch das Wunderbare sowie das Wissenshegemonien hinterfragende, subversive Potenzial spielerischer und ungewöhnlicher Anordnungen in zeitgenössischen Sichtweisen auf Wunderkammern und in zeitgenössischen Wunderkammern neu verorten?
Im Dialog mit historischen und gegenwärtigen Wunderkammern und Wunderkammer-Objekten – sowie mit Künstler*innen des 20. und 21. Jahrhunderts, die sich mit diesem Komplex beschäftigt haben bzw. beschäftigen – werden wir diesen Fragen nachgehen.

Im V | S WUNDERKAMMER(N) wollen wir uns das Feld anhand ausgewählten Beispielen, Sammlungs-Szenarien, Objekten und künstlerischen Projekten sowie begleitenden Lektüren grundlegend erschließen – wobei alle Teilnehmer*innen zugleich eigene Schwerpunkte setzen können, die sie individuell und/oder in AGs vertiefend bearbeiten wollen.

Das S | KO WUNDERKAMMER-WERKSTATT bietet die Möglichkeit, ausgehend von den in diesem Zuge gemeinsam erarbeiteten Fokus-Themen gezielte Vertiefungen vorzunehmen und anhand von den Teilnehmer*innen selbst ausgewählter Objekte und Sammlungen aus Geschichte und Gegenwart genauer zu untersuchen. Dabei wollen wir nicht zuletzt ein besonderes Augenmerk auf unsere Werkzeuge und Methoden legen. Zudem bietet sich die Möglichkeit, in den Arbeitsgruppen sowie individuell Projekte zu verfolgen, die auf Verknüpfungen von fachwissenschaftlicher und künstlerisch-praktischer Forschung und/oder die Entwicklung von Bildungs- und Vermittlungskonzepte, -szenarien und -materialien ausgehen.

Die Veranstaltung ist Teil des Arbeitsprogramms der interdisziplinären FZHG-Studiengruppe WERKZEUGWISSEN – WISSENSWERKZEUGE. In jedem Semester wird ein Seminar-Kolloquium zu einem ausgewählten Schwerpunkt angeboten. Im Mittelpunkt steht eine Begriffs- und Methodenarbeit, die auf der Basis von Lektüren, Betrachtungen und Untersuchungen am Gegenstand, Demonstrationen und Diskussionen, Exkursionen bzw. Ortsterminen sowie Workshops und Gastvorträgen an der Schnittstelle von Theorie und Praxis bzw. Theorien und Praktiken vielfältige Zugänge zum Gegenstand eröffnen soll.

Weiterführende Informationen zur Studiengruppe:
Projekt "WERKZEUGWISSEN – WISSENSWERKZEUGE" auf www.visuelle-kultur.info
Projekt "WERKZEUGWISSEN – WISSENSWERKZEUGE" auf www.ArtSciEd.net (Plattform im Aufbau).

Metadaten:
Wintersemester 2021/2022
WUNDERKAMMER WERKSTATT
Fachwissenschaftliches Seminar
Interdisziplinäres Seminar & Kolloquium
Studiengruppe
S | KO (2 SWS) – Di 11-13 u. Blöcke – Raum: 206 u. Ortstermine – Online
L2-KU-M4 | L5-KU-M4 | L3-KU-M5 | L3-KU-M6 (S FW) | L3-KU-M9 (S FW) || MA KMKB M1 (S FW: 5 CP) | MA KMKB M3 (S FW: 3+3 CP) | MA KMKB M4 (S EM: 3 CP) | | MA KMKB M6 (S FW: 3+3 CP) | MA KMKB M7 (S: 3 CP + MP 3 CP) | MA KMKB M8 (KO zum LFP nach Absprache) || MA Ästhetik | MA Curatorial Studies || Andere Studiengänge: Freier Wahlbereich n. Absprache

projekt: WERKZEUGWISSEN - WISSENSWERKZEUGE

tags: alltagskultur, alltagstechnologien, analogital, anthropologie, ästhetik, ausstellungen, bild & imagination, displays, geschichten & geschichte, kulturgeschichte, kunst & gesellschaft, kunst & medien, kunst & öffentlichkeit, kunst & wissenschaft, materielle kultur, medien, medienkulturen, modelle, objekte/sachen/dinge, orte & räume, repräsentation, topologien, typologie, (un)sichtbarkeit, utopien, visuelle kultur, werkzeug, wissenschaft, wissenschaftsgeschichte, wissenskulturen, zeit