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"The Plants Are Watching Sensing"

Vortrag | Lecture
Workshop-Tagung "Spürtechniken. Von der Wahrnehmung der Natur zur Natur als Medium", Universität Potsdam, May 24-25, 2018 | 24./25.05.

"The Plants Are Watching" ist der Titel der 2012 neu publizierten Romanfassung des Drehbuchs zu einem Film, der 1978 als "The Kirlian Witness" ins Kino kam; deutsche Synchronfassung: "Nur die Pflanze war Zeuge". Letzteres lässt sich beim Wort nehmen. Eine junge Frau wird ermordet, vom Täter keine Spur. Auf diese wiederum kommt ihre Schwester dank einer Topfpflanze am Tatort, wobei sie einem Hinweis aus dem esoterischen Umfeld folgt, in dem sich auch die Ermordete bewegte. Mittels "Kirlian-Fotografien" vermag sie zu belegen, dass die Pflanze auf die Anwesenheit des Mörders negativ reagiert.

Sowohl die Technik wie auch wie eigentliche Grundlage der Beweisführung – nämlich dass Pflanzen ihre Umwelt wahrnehmen und auf diese reagieren – sind von einem Buch inspiriert, das 1973 erschien und in der populären Rezeption sowie nicht zuletzt auch unter KünstlerInnen rasch zum Erfolgstitel wurde. In "The Secret Life of Plants" erzählen Peter Tompkins und Christopher Bird anhand von Protagonisten wie Cleve Backster, der seine Topfpflanzen an den Lügendetektor anschloss, um Nachrichten von ihnen zu empfangen, Kapitel um Kapitel eine alternative Geschichte der experimentellen Pflanzenphysiologie. Erklärtes Ziel des Buches ist, seiner Leserschaft die Vielfalt der "physical, emotional, and spiritual relations between plants and man"» näher zu bringen. Dass seine Darstellungen und Argumentationen von der Fachwelt als pseudowissenschaftlich, irrig und schlichtweg falsch kritisiert wurden, konnte den populären Erfolg nur sehr bedingt schmälern. In einer Zeit, in der ökologische Kritik und Sehnsucht nach ganzheitlichen Mensch-Umwelt-Beziehungen eine prominente Position behaupteten, traf es ganz offenkundig einen Nerv – und zwar wohl nicht zuletzt, da es zugleich auf den experimentellen Umgang mit technische Verfahren, Apparaten und Medien fokussierte.

Die Frage danach, ob, wie und was Pflanzen fühlen – und was Menschen aus ihren Erkenntnissen über die entsprechenden Prozesse im weitesten Sinne lernen können – ist in jüngerer Zeit erneut in den Horizont öffentlicher Aufmerksamkeit gerückt. Beigetragen haben hierzu nicht allein das verstärkte Interesse seitens der Geistes- und Kulturwissenschaften, sich mit Inter- und Multispezies-Beziehungen zu befassen, sich für eine Pflanzen-Ethik stark zu machen und/oder deren Spuren in der Kulturgeschichte aufzuzeigen, um hieraus Argumente für die zeitgenössischen Debatten um mögliche ökologische Orientierungen eines "Post-Anthropozän" zu gewinnen. Vielmehr verdanken sich entsprechende Impulse auch einer Reihe von Publikationen, die jüngere Ansätze aus der Pflanzenphysiologie einem breiteren Publikum näher zu bringen versuchen und hierbei ein einschlägiges Vokabular wie namentlich die Rede von einer "Intelligenz der Pflanzen" aktivieren – und in diesem Zuge ebenfalls Experimentalanordnungen aus der Wissenschaftsgeschichte einbringen, um ihre Darstellungen zu untermauern.

Wenngleich Autoren wie der Biowissenschaftler Daniel Chamovitz ("What A Plant Knows. A Field Guide to the Senses", 2012) explizit betonen, dass ihre Perspektive nichts mit jener gemein hat, die Bird und Tompkins ihrerzeit eingeschlagen hatten: Betrachtet man die Rezeption der Publikationen im Kontext des gesamten Spannungsfeldes kultureller Diskursproduktion, so kann man kaum umhin festzustellen, dass neben strukturellen Parallelen auch konkrete Weiterführungen und Wiederaufnahmen bzw. Re-Appropriationen historischer Modelle und ihrer Argumentationen auszumachen sind. Diese wiederum lassen sich in Teilen auch historisch weiter, nämlich in jene Jahrzehnte und Epochen zurückverfolgen, die wir seit einiger Zeit als konstitutiv für die unsere Techno-Natur-Kultur dominierenden Strukturen und Konzepte begreifen.

Tatsächlich haben die jeweils propagierten naturwissenschaftlichen Modelle pflanzlicher Wahrnehmungs- und Empfindungsfähigkeit immer wieder ihren Niederschlag in populären Medienproduktionen gefunden, die durchaus unabhängig von der jeweiligen Schöpfungshöhe nicht nur Einblicke in die jeweilige Gemengelage von Ökologie und Techno-Natur-Kultur gestatten sowie Auskunft darüber geben können, wie Organismen als Medien wahrgenommen und modelliert werden, sondern in diesem Zuge auch die Möglichkeit eröffnen, Gegenwartsanalysen dieser Konzepte und ihrer Relationen durch die Einbettung in historische Perspektiven zu schärfen.

In diesem Sinne lässt sich zudem argumentieren, dass mit Vorstellungen von Natur assoziierte "subjektiv-humane Spürtechniken" und "medial-apparative Spürtechniken" einander wechselseitig bedingen – und exemplarische Untersuchungen der Letzteren nicht nur Auskunft über den Status Ersterer, sondern auch darüber geben, wie wir unser Verständnis von Medien, Technologie und Medientechnologie als Teil unserer handlungsorientierten Selbst- und Welterkenntnis nutzen (können).

Dies möchte ich in meinem Beitrag anhand ausgewählter Beispiele aus Kunst und Populärkultur aufzeigen, die jeweils in einem entsprechenden Referenzrahmen zu verorten sind und die sich mit Pflanzen als Protagonistinnen (und Adressatinnen) "natürlicher", "subjektiv-humaner" und "medial-aparativer" Spürtechniken befassen.

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