2010-06-18
Im Prinzip Nein.
Die Fragen an Radio Eriwan im Zusammenhang mit dem wochenlangen Streik der Krankenhausärztinnen und Krankenhausärzte im Marburger Bund gegen die Vereinigung kommunaler Arbeitgeberverbände (VKA) reißen nicht ab. Mit "Sollen Ärzte für mehr Geld und Freizeit streiken" hat sich Radio Eriwan allerdings seit dem ersten vom Marburger Bund organisierten Streik nicht mehr befasst. Es war der Wiesbadener Kurier, der diese Frage zwei kompetenten Diskutanten mit Insiderkenntnissen vorgelegt und die Antworten als PRO & CONTRA am 14.06.10 abgedruckt hat.
Zunächst das Titel-adaptierte CONTRA-Statement als komplettes Zitat: "Ich wende mich auch aus anderen Aspekten gegen einen Streik: Wer, wie ich im Übrigen auch, den Arztberuf ergriffen hat, wusste und weiß, dass Arbeitsbelastungen und Dienstzeiten und auch die Bezahlung häufig nicht dem Einsatz, den man in diesem Beruf erbringt, entspricht." Unser Titel verrät, dass Radio Eriwan den zweiten Teil auf Anhieb verstanden hat. Der erste Teil erhält durch die Praxis vieler Krankenhäuser Sinn, Arbeitszeitgesetz und Tarifverträge nur durch Verleugnung der Arbeitsbelastungen und Dienstzeiten im tatsächlichen Umfang einzuhalten.
Da verneigt sich Radio Eriwan in neidloser Anerkennung davor, dass Prof. Dr. Schmitz nicht mehr zu streiken braucht, weil er seit 15.06.2008 als medizinischer Geschäftsführer der Dr. Horst Schmidt Kliniken Wiesbaden (HSK) schon für die verbleibenden Monate 2008 124.000 € erhalten hat (Quelle: Beteiligungsbericht für das Geschäftsjahr 2008, S. 133 (1,8 MB!) der Landeshauptstadt Wiesbaden).
In dieser Funktion beklagt er als Auswirkung des Streiks: "Materielle Verluste in Millionenhöhe für kommunale Krankenhäuser, die ohnehin finanziell hoch belastet sind, wurden in Kauf genommen." Als wäre der Streik unabwendbar wie eine Naturkatastrophe! Die HSK musste sich keineswegs von der VKA in einen unnötigen und unwirtschaftlichen Streik verstricken lassen. Vernünftig wäre eine rasche und gütliche Einigung mit dem Marburger Bund am Verhandlungstisch gewesen. Zur Erinnerung, im Streik gegen die VKA ab dem 26.06.06 hatte es bis zum 12.08.06 gedauert, bis in Wiesbaden endlich wie zuvor für viele andere kommunalen Krankenhäuser die Notbremse eines Vorschaltarifvertrages mit dem Marburger Bund Hessen gezogen wurde (der Marburger Bund Hessen berichtete hier). Die Entschlossenheit und Kampfkraft der Ärztinnen und Ärzte seiner Kliniken müsste er doch aus erster Hand kennen. Aber vielleicht schreibt er gerade deshalb: "Es sollte möglich sein, hier zu einem gesellschaftlichen Konsens zu kommen, der einen Streik von Ärzten, die sich im Hypokratischen Eid dem höchsten Gut, dem Patientenwohl, verschrieben haben, ausschließt."
Aus seiner Überlegung, dem Arzt müsse bewusst sein, "dass ein Erzwingungsstreik, der diese spezielle Verantwortung gegenüber den uns anvertrauten Patienten, aber auch uns Ärzten selbst außer Acht lässt, einen nicht wieder gut zu machenden Vertrauens- und Glaubwürdigkeitsschaden hinterlässt" hat der Marburger Bund einen völlig anderen Schluss als Schmitz mit seiner Forderung nach einem ärztlichen Streikverbot gezogen: Durch Notdienstvereinbarungen und Unterbrechungen des Streiks haben die Ärztinnen und Ärzte nicht nur diesen Schaden vermieden, sondern die häufig demonstrierte Unterstützung der Patienten und der Bevölkerung verdient.
Frage an Radio Eriwan: Ist Prof. Dr. J. E. Schmitz nicht zuzustimmen, dass keine Notfallvereinbarung Angst, Schmerzen oder eine Verschlimmerung des Leidens verhindern kann?
Im Prinzip Ja.
Immer auf der Suche nach Positivem hat Radio Eriwan diese Aussage entdeckt: "Jede Vereinbarung zur Notfallversorgung ist nicht in der Lage, die Angst, die Schmerzen und auch die Verschlimmerung von Leiden zu verhindern. Dies ist eine andere Dimension, die den Streik der Ärzte von anderen Arbeitsniederlegungen unterscheidet." Eine verantwortungsvolle Klinikleitung wird daher, wenn es ihr gegen politischen Widerstand schon nicht gelingt, das Krankenhaus aus dem Streik auszuklammern, Patienten nach Möglichkeit auf eine der anderen umliegenden Kliniken verweisen. Hier hat es die HSK besonders einfach, ist sie doch von leistungsfähigen, nicht bestreikten Krankenhäusern geradezu umzingelt, sogar zwei angesehene Universitätsklinika in Frankfurt/M. und Mainz zählen dazu.
Und zum versöhnlichen Abschluss stimmt Radio Eriwan auch uneingeschränkt seinem ersten Satz zu: "Das Recht zu streiken ist einer der Grundpfeiler der Demokratie – deshalb muss es das Anliegen von uns Allen sein, zu diesen Grundrechten auch zu stehen. Auch wenn sie für den Einzelnen oder ein Unternehmen oft mit erheblichen Unannehmlichkeiten verbunden sein können."
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